AB - Die Andere Bibliothek 2014


Michel de Montaigne: Tagebuch der Reise
Macedonio Fernández: Das Museum von Eternas Roman
Grigori Kanowitsch: Ewiger Sabbat
Blaise Cendrars: Moravagine - Roman eines Monsters
Marcello Fois: Zwischen den Zeiten
Marc Schweska: Das Kompendium der Geheimhaltung und Täuschung
Charles-Augustin Saint-Beuve: Menschen des XVIII. Jahrhunderts
Hanns Heinz Ewers: Lustmord einer Schildkröte
Jack El-Hai: Der Nazi und der Psychiater
Sinaida Hippius: Petersburger Tagebücher 1914-1919
Selma Lagerlöf: Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden
Johann Wolfgang von Goethe: Lotte meine Lotte



Michel de Montaigne:

Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581

Übersetzt und mit einem Essay versehen von Hans Stilett

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 349, 492 S.

»So habe ich gerade mit großem Interesse die Reisebeschreibungen Montaignes gelesen: Sie bereiten mir an manchen Stellen noch mehr Vergnügen als selbst seine Essais.«
      Johann Wolfgang von Goethe

Kaum waren seine berühmten Essais erschienen, da brach Michel de Montaigne zu seiner großen Reise auf, der wir sein »Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581« verdanken.

Ob in seinem berühmten Turm bei der neun Jahre währenden Niederschrift seiner Essais oder auf seiner Tour durch Italien: das Unterwegssein gehörte für Montaigne zum Dauerzustand seiner Existenz.

Montaignes genauer Blick in toleranter »Aufmerksamkeit und Gelassenheit« lässt sein Reise­tagebuch zur farbig vitalen Quelle der Kulturgeschichte werden – wobei ihn Kunstführerqualitäten und Berichte über Sehenswürdigkeiten wenig interessieren. Er nimmt Landschaft, Land, Leute und Lebensweisen in Augenschein – mit Hochachtung vor dem »niederen Volk«: Koch- und Tischsitten in den Gasthöfen haben es ihm angetan, er studiert die Bordelle von Venedig und Florenz oder erlebt Hinrichtungen und Teufels­austreibungen.

Kaum eine Gelegenheit zu Trink-, Bade- und Schwitzkuren lässt der reisende Humanist und Erkenntnissucher aus – gequält von seinem Nierenleiden. So gut wie auf dieser Reise fühlte er sich nie.

Seine tollkühne Jahrhundertarbeit der ersten modernen Gesamtübersetzung der Essais aus Montaignes sprachgewaltigem Französisch der Renaissance setzt Hans Stilett mit diesem Reisetagebuch fort.

Hans Stilett war von 1953 bis 1983 im Bundespresseamt tätig und begann anschließend ein Studium, das er mit einer Promotion über Montaignes Reisetagebuch abschloss.
Nach vielfachen Lyrikveröffentlichungen und zuletzt der biographischen Erzählung Eulenrod, machte ihn die erste moderne deutsche Gesamtübersetzung der Essais bekannt. Sie erschien 1998 in der Anderen Bibliothek.

Buchgestalterin: Uta Schneider



Macedonio Fernández: Das Museum von Eternas Roman

(Erster guter Roman)

Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Petra Strien
und mit einem Nachwort von Gerhard Poppenberg

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 350, 421 S.
OT: Museo de la Novela de la Eterna (1967)

Jorge Luis Borges: »Ich imitierte ihn … bis hin zum Plagiat.«

Macedonio Fernández ist eine legendäre Gestalt der Literatur Lateinamerikas und »Das Museum von Eternas Roman« ein bei uns vergessenes und wundersames Meisterwerk der argentinischen Literatur. Erstmals wurde es für »Die Andere Bibliothek« ins Deutsche übertragen.

Macedonio Fernández (1874–1952) war ein wegweisender Freund von Jorge Luis Borges und der Einfluss seines literarischen Werkes bei Italo Calvino oder Julio Cortázar ist unverkennbar.

Erst fünfzehn Jahre nach Fernández Tod 1952 wurde »Das Museum von Eternas Roman« veröffentlicht – sein Leben lang schrieb dieser »Sokrates« einer ganzen Generation argentinischer Autoren daran.

Das schon 1925 begonnene Opus beginnt – und beginnt nicht; es ist ein Anfang nach bald 60 Prologen, ein aufgeschobener Roman, der nach diesem grotesken Prolog aus Prologen sich zu einer großen philosophisch-literarischen und sprachbarocken Artistik ausweitet – einer Verwandlung aller Wirklichkeit in Fiktion. In dieser Suche nach Ewigkeit ist Fernández Meta-Roman auch ein großes Testament der Liebe: gerichtet an Eterna, die Muse dieses einzigartigen Autors.

Mit großem spekulativem Witz entführt dieser Kunstroman, ein großes offenes Buch, in eine Wirklichkeit, in der alle unmöglichen Dinge geschehen – denn für das Mögliche ist bei Fernández nur das Leben zuständig, nicht die Literatur.

Buchgestalter: Michael Karner



Grigori Kanowitsch: Ewiger Sabbat

Aus dem Russischen von Waltraud Ahrndt

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 351, 603 S.
OT: Swetschi na wetru (1979)

»Ich bin kein jüdischer Schriftsteller, weil ich russisch schreibe, kein russischer Schriftsteller, weil ich über Juden schreibe, und kein litauischer Schriftsteller, weil ich nicht litauisch schreibe.«

Das litauische jüdische Leben nährt das Kolorit seiner Prosa, ihren Klang und ihre Gestimmtheit zwischen bitterer Ausweglosigkeit und unerschöpflichem Lebensglauben, zwischen skurrilem Witz und heiterer Melancholie: »Jetzt habe ich begriffen. Der Tod ist ein Feiertag. Das Ende der Arbeit. Der Tod ist ein ewiger Sabbat.«



Swetschi na wetru/Kerzen im Wind (1979) hieß Grigori Kanowitschs erster Roman, der nun unter dem Titel Ewiger Sabbat wiederzuentdecken ist. Anfang der 30er-Jahre – in einem kleinen Dorf bei Vilnius lebt Daniel zunächst bei Großvater, dem Uhrmacher, und Großmutter, der Vater sitzt wegen politischer Umtriebe im Gefängnis. In einen Vogel möchte sich dieser träumende Junge verwandeln: Dann flöge er über Synagogendiener Chaim hinweg, über Fleischermeister Hillels Laden, die Frisierstube von Aaron Damski, den ersten Lehrherrn, sähe den Hochzeitsmusikanten Leiser und Doktor Gutman, und alle die Bewohner dieses Fleckens aus der Ferne. Vor allem bräuchte er nicht länger auf dem jüdischen Friedhof mit all den Krähen und beim einbeinigen Totengräber Josef zu wohnen – er sähe die Welt. Daniel wird sie bald im Ghetto kennenlernen.

Grigori Kanowitsch (Grigorijus Kanovičius), eigentlich Jakov Semenovitsch, wurde 1929 als Sohn eines jüdischen Schneiders unweit der litauischen Stadt Kaunas geboren. Noch während seines Slawistik-Studiums in Vilnius begann er zu schreiben. Das Jiddische ist seine Schtetl-Muttersprache, das Russische eignete er sich als Dreizehnjähriger an, dem Genozid nach Kasachstan entkommen.

In seinem literarischen Werk, in viele Sprachen übersetzt, vergegenwärtigt Grigori Kanowitsch immer wieder das litauische jüdische Leben. Es ist sein Lebensthema.

Buchgestalter: Tomas Mrazauskas



Blaise Cendrars: Moravagine

Monsterroman

Übersetzt von L. Rademacher (1926), nun revidiert, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Stefan Zweifel

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 352, 429 S.
OT: Moravagine (1926)

»Jeder normale Mensch sollte einen guten Koffer besitzen. Und Cendrars lesen. Wenn man Cendrars liest, hat man das Bedürfnis, an die frische Luft zu gehen, draußen herum­zulaufen und zu beobachten, was ringsumher geschieht. Wenn man Cendrars liest, wird die Welt zu einem sprühenden Feuerwerk. Und das Leben kommt einem wunderbar vor, selbst wenn es grauenhaft ist.«
    Philippe Djian

Moravagine ist ein faszinierend beunruhigendes Werk, maßlos, amoralisch und anarchisch. Es führt ins Zentrum der künstlerischen Moderne des 20. Jahrhunderts nach den Jahren des Ersten Weltkriegs.

Moravagine ist Fiktion und Autobiografie – das Zentrum allen Schreibens von Blaise Cendrars, eines Libertin im Leben und in der Literatur.

Moravagine ist der Name eines Amokläufers, eines Nomaden seiner Wunschtriebe, in dessen Name sich der Tod (la mort) und das Gebärende (le vagin) zwittrig vereinen.

Moravagine, so heißt der ungarische Adlige, der mit Unterstützung eines Arztes, des Erzählers Raymond La Science, das Schweizer Sanatorium Waldensee verläßt und mit ihm auf eine jahrelange Reise geht: über Berlin in den russischen Revolutionsterrorismus, mit dem Schiff nach New York und weiter auf Goldsuche bis zu den blauen Indianern, eine Flucht zum südamerikanischen Orinoko und zurück nach Paris, zu einem Flug um die Welt und in den Morphinismus.

Moravagine ist das legendäre Hauptwerk von Blaise Cendrars, das Stefan Zweifel für uns wieder zugänglich macht: ungekürzt in der von Blaise Cendrars autorisierten und nun revidierten Übersetzung von 1928, kommentiert, mit allen Schriften von Moravagine ergänzt und mit einem Nachwort versehen.

Buchgestalter: Torsten Köchlin



Marcello Fois: Zwischen den Zeiten

Aus dem Italienischen übersetzt von Monika Lustig

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 353, 281 S.
OT: Nel tempo di mezzo (2012)

Marcello Fois ist mit seiner poetischen Sprachwucht der eigensinnigste sardische Romancier.

Sardinien im Oktober 1943.

Vincenzo Chironi lebt Zwischen den Zeiten. Er ist auf der Suche nach seiner Herkunft und einer Zukunft.

Aufgewachsen ist er in einem Waisenhaus in Triest. Viele Jahre war er der Sohn von niemandem.

Nun hat er wieder einen Namen und ist auf dem beschwerlichen Weg nach Núoro, zu seiner Vaterfamilie, in seine karge sardische Heimat – die für ihn noch keine ist.

Im Haus der Chironi leben noch der Großvater, der ehemalige Meisterschmied Michele Angelo, dem nach allen Tragödien nur die Tochter geblieben ist. Alles wirkt wie eine Wiedergutmachung, schicksalhaftes Wunder in diesem fluchhaften Familienepos: Der Neffe ist zurückgekehrt. Er wird in einem Sardinien, wo alles Archaische der Insel den neuen bürgerlichen Zeiten begegnet, die Geschichte des Geschlechts der Chironi weiterschreiben können.

»Ja, er hatte bestens verstanden. Doch was er nicht wissen konnte – und es war auch nicht nötig, ihm das zu erklären – war die Tatsache, dass der Name Vicenzo und der Familienname Chironi zum allerersten Mal in einem Atemzug aus dem Mund ihres Trägers gekommen waren.«

Marcello Fois wurde 1960 in Núoro auf Sardinien geboren und lebt heute in Bologna. Schon in seinem ersten Roman Die schöne Mercede (AB 318) hat er von Sardinien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählt.
In Italien wurde er als Erfinder des Avvocato Bustianu, eines Anwalts und Dichters, bekannt. Mehrere seiner Krimis wurden auch ins Deutsche übersetzt. Seine poetische Sprachwucht macht Marcello Fois zum eigensinnigsten Romancier der Geschichte Sardiniens.

Buchgestalterin: Claudia Wittig



Marc Schweska:
Das Kompendium der Geheimhaltung und Täuschung, der Lüge und des Betrugs, des Verrats und der Verstellungskunst

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 354, 413 S.

»Es gibt fünf Arten von Spionen: der ortsansässige Spion, der innere Spion, der Gegenspion, der tote Spion und der lebendige Spion. Wenn alle diese fünf Arten von Spionen in Aktion treten, weiß niemand um ihre Wege – dies nennt man organisatorisches Genie.« (Sunzi, ca. 500 v. Chr.)

Nur dunkel scheint das Thema der Täuschung. Wer täuscht, der handelt im Geheimen und unmoralisch, der verstört mit Lüge, Verrat und Betrug seine Opfer. Die Erkenntnis, getäuscht worden zu sein, kann das Vertrauen in die Welt aufs Schwerste erschüttern. Heiter wird die Täuschung aber in der Verstellungskunst, in den Erzählungen von der Listigkeit, die kraftvoll und klug die verwickelten Lebensschwierigkeiten mit Täuschungen elegant und mit Witz überwindet.


Dieses Kompendium versammelt klassische und weniger berühmte und bekannte Texte, die Täuschung zumeist in ihrer drastischen Dimension behandeln. Die Texte stammen aus der griechischen und römischen Antike: Homer, Hesiod, Heraklit, Sophokles, Platon und Aristoteles gehören dazu wie Seneca, Plutarch, Tacitus und Lucian und viele andere. Augustinus oder Dante, Boccaccio und Machiavelli fehlen natürlich genauso wenig wie Erasmus von Rotterdam, Montaigne, Baltasar Gracian oder Pascal; dazu die Reflexionen der Moralistik. Kant und Schopenhauer oder Nietzsche sind vertreten, ebenso natürlich die legendären »Trickster«-Figuren wie Odysseus, Sisyphos und Till Eulenspiegel. Nicht vergessen sind wichtige außereuropäische Texte wie Sunzis Schrift über Kriegskunst und das altindische Politik-Lehrbuch Arthasastra. Natürlich findet sich das Thema in der großen Literatur, bei Voltaire, Diderot , Goethe oder Schiller und in der gesamten klassischen und romantischen Literatur; Herman Melville oder Jorge Luis Borges gehören in unsere Sammlung, die Sentenzen und Aphorismen vieler Autoren – bis in die Gegenwart. Das dürfen Sie von einem Kompendium (wenn auch ohne Anspruch auf Vollzähligkeit, das wäre eine Täuschung) erwarten. Und: Nicht zuletzt gibt es Texte, die auch die gebildeten Freunde der Anderen Bibliothek noch überraschen können.

Mark Schweska, geboren 1967 in Berlin-Mitte, wurde zum Elektroniker ausgebildet und studierte Romanistik, Philosophie sowie Kulturwissenschaft. Sein erster Roman »Zur letzten Instanz« erschien in der Anderen Bibliothek als Band 316.

Buchgestalter: Andreas Töpfer



Charles-Augustin Sainte-Beuve:
Menschen des XVIII. Jahrhunderts

Übersetzt von Ida Overbeck, initiiert von Friedrich Nietzsche.
Mit frisch entdeckten Aufzeichnungen von Ida Overbeck und neu editiert von Andreas Urs Sommer

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 355, 421 S.

»Vor einer Stunde … erhielt ich die Menschen des 18. Jahrhunderts … es entzückte mich … Ich glaube, ich habe geweint, und es müsste sonderbar zugehen, wenn dieses kleine gute Buch nicht manchem Anderen die Empfindung dergestalt erregte.«    Friedrich Nietzsche

Ist Charles-Augustin Sainte-Beuve, dieser berühmte, verehrte wie angefeindete französische Literaturkritiker des 19. Jahrhunderts heute in Deutschland passé? Als er 1869 in Paris starb, fast so alt wie das Jahrhundert, da fragte Gustave Flaubert, mit wem er sich jetzt noch über Literatur unterhalten könne. Marcel Prousts Buch Contre Sainte-Beuve hat den Nachruhm kompromittierend befördert – in Deutschland ist heute so gut wie kein Buch dieses enorm einflussreichen Intellektuellen erhältlich.

Angeregt von Friedrich Nietzsche, übersetzte Ida Overbeck einige Texte aus Sainte-Beuves regelmäßigen Montagskritiken, seinen Causeries du lundi. 1880 erschien diese Zusammenstellung erstmals als Menschen des XVIII. Jahrhunderts, ein Werk, das originellerweise so auf Französisch nicht existiert. In ihm erkundet Sainte-Beuve die Lebens-, Denk- und Schreibformen von Fontenelle, Montesquieu, Mme de Graffigny und Voltaire, Mme du Châtelet, Mme Latour-Franqueville und Rousseau, Diderot, Vauvenarges, Mlle de Lespinasse und Beaumarchais.

Daraus entsteht für uns ein Epochenporträt in seinen individuellen Ausprägungen: Eine bisher verborgen gebliebene neue Aussicht auf das aufregende 18. Jahrhundert - elegant, eindringlich und unterhaltsam erzählt.

Charles-Augustin Sainte-Beuve, der berühmteste französische Literturkritiker des 19. Jahrhunderts, ist in Deutschland weitgehend unbekannt geblieben. Seine Portraitstudien markanter Persönlichkeiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts geben uns tiefe Einblicke in die Welt der Aufklärung.

Die vollständige Neuausgabe ist kommentiert, aber ohne gelehrten Ballast; zu einer ausführlichen Einleitung gesellen sich Auszüge aus unpublizierten Nachlass-Aufzeichnungen von Ida und Franz Overbeck, die die Geschichte der damals wie heute kühnen Sainte-Beuve-Unternehmung erhellen und zugleich ein bedeutendes Dokument für den französisch-deutschen Kulturaustausch darstellt.

Charles-Augustin Sainte-Beuve (1804-1869) war ein französischer Literaturkritiker und Schriftsteller. Er führte in den 1830er Jahren seine Portraits littéraires in die Presse ein und dann nach 1849 die Causeries du Lundi. Bis zu seinem Tod im Jahr 1869 veröffentlichte er zwanzig Jahre lang jeden Montag im Constitutionnel das Portrait eines Schriftstellers.

Buchgestalterin: Konstanze Berner



Hanns Heinz Ewers: Lustmord einer Schildkröte

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 356, 431 S.

»Eine sehr deutsche wahnwitzige Skandalkarriere«

Hanns Heinz Ewers begann als schön­geistiger Dandy rasant mit Oscar Wilde, wurde mit seinen Romanen und Erzählungen als deutscher Edgar Allan Poe gehandelt, war ein bahnbrechender Begründer des Autorenfilms – und beendete sein literarisches Leben mit einem Buch im Auftrag von Adolf Hitler, das aber missfiel und wie sein gesamtes Werk verboten wurde.

Kaum ein Autor war in seinem exzentrischen Kunstschaffen zwischen 1900 und 1932 international so bekannt und ist heute so vergessen wie der 1871 in Düsseldorf geborene Hanns Heinz Ewers.

Obwohl er mit seiner meisterhaften Prosa unverkennbare Spuren in der Moderne hinterlassen hat und sein Roman Alraune zum Welterfolg wurde, wird er in der Literaturgeschichtsschreibung kaum beachtet. Er lebte seine Exaltationen zwischen Religion, Drogen und Politik, reiste um die Welt und pflegte Freundschaften mit so unterschiedlichen Geistern wie Erich Mühsam, Else Lasker-Schüler oder Erich Rathenau.

Diese Erzählungsauswahl aus dem enormen Œuvre – vor allem zwischen 1907 und 1922 erschienen – schillert zwischen Schwarzer Romantik und bildmagischer Avantgarde. Hanns Heinz Ewers' Prosa magnetisiert mit großer stilistischer Varianz – der kühle Stil fesselt; die Leidenschaft für die Abgründe der menschlichen Psyche, die entgrenzende Erotik und die Schilderung von Spielarten des Todes provozieren. Aber er wird auch zum bizarr unheimlichen Doppelgänger – was das Vergessen seines Werks erklärlich macht.

Hanns Heinz Ewers wurde 1871 in Düsseldorf geboren und war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh vielseitig tätig: als Schriftsteller, als Filmemacher oder als Kabarettist und machte auf der ganzen Welt mehrere große Reisen. Die teilweise drastischen Darstellungen seiner Arbeit führten dazu, sich immer wieder gegen den Vorwurf des Trivialen oder Pornographischen wehren zu müssen. Seine Bücher wurden 1933 verbrannt; er selbst konnte untertauchen und starb 1943 in Berlin.

Buchgestalter: Kurt Dornig



Jack El-Hai: Der Nazi und der Psychiater

Aus dem Amerikanischen von Henriette Heise

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 357, 317 S.
OT: The Nazi and the Psychiatrist (2013)

Auf der Grundlage nie veröffentlichter Dokumente erzählt der amerikanische Wissenschafts­journalist Jack El-Hai das verstörende, politische Psycho­drama um die Begegnungen des Armee­psychiaters Douglas M. Kelley mit Hermann Göring, dem nach der Kapitulation ranghöchsten noch lebenden Nazi. Es ist die zum ersten Mal mitgeteilte Geschichte einer erschreckenden Verstrickung.

1945, erst im luxemburgischen Mondorf-les-Bains, wo nach Kriegsende von der US-Armee ein Hotel zum Gefängnis für die Führungselite der Nazis umgebaut wurde, danach in Nürnberg, untersuchten amerikanische Militärpsychiater unter der Leitung von Douglas M. Kelley die physische und psychische Verfassung der Elite des Naziregimes. Unter den 52 Nazi-Größen wie Dönitz, Hess, Keitel, Ribbentrop, Frank, Jodl, Speer oder Streicher war auch Hermann Göring, ehemaliger Chef der Luftwaffe, selbst ernannter »Reichsmarschall« und dominante Figur unter den Gefangenen. Der übergewichtig joviale Göring erschien mit einem Dutzend Koffern, Schmuck, seidener Unterwäsche, Zigarrenkisten, einem Vermögen an Geldmitteln – und versteckten Zyankali-Kapseln.

Der ambitionierte Psychiater Douglas M. Kelley sah in seinen Sitzungen mit den Gefangenen die einzigartige Chance, das Böse im Menschen zu erforschen. Kelley baute eine enge Beziehung zu Göring auf, zwei ungewöhnliche Persönlichkeiten begannen einander zu schätzen. Kelleys bisher unbekannte Aufzeichnungen erzählen davon.

Am Neujahrstag 1958, zwölf Jahre nach Göring, beging Douglas M. Kelley vor den Augen seiner Familie in Kalifornien Selbstmord – mit einer Zyankali-Kapsel.

Jack El-Hai ist ein amerikanischer Wissenschaftsjournalist, der für seine Werke, vor allem aus dem Bereich der Medizin, vielfach ausgezeichnet wurde. Er lebt in Minneapolis.

Buchgestalterin: Susanna Dulkinys



Sinaida Hippius: Petersburger Tagebücher 1914-1919

bearbeitet und mit einem Nachwort von Christa Ebert

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 358, 480 S.

»Was soll man schreiben? Nichts außer dem einen - Krieg!«
Erster Eintrag von Sinaida Hippius am 1. August 1914

»Niemand begreift, was – zum Ersten – ein Krieg ist. Und was er – zum Zweiten – für uns, für Rußland bedeutet. Auch ich begreife es noch nicht. Doch ich spüre ein beispielloses Grauen.«

Die leidenschaftlichen »zeitgenössischen Aufzeichnungen« der Sinaida Hippius sind in ihrer Authentizität aufregende Dokumente, dramatisch lebt in ihnen die Atmosphäre jener Zeit wieder auf.

Ein großer Teil dieser Petersburger Tagebücher galt als verschollen - sie werden nun zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht.

Als feminines Gesamtkunstwerk wusste die symbolistische Lyrikerin Sinaida Hippius die Petersburger Intelligenzija um sich zu versammeln.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs machte aus der fasziniernd exzentrischen Salonnière eine politische Chronistin, eine Augen- und Ohrenzeugin. In ihrer großen Wohnung nahe dem Taurischen Palais, dem Sitz der Regierung, gingen die Politiker bei ihr ein und aus, die politischen Papiere über ihren Tisch.

Bis zu ihrer Emigration im Dezember 1919 über Polen nach Paris schrieb sie ihr »gesellschaftliches Tagebuch«; als scharfzüngige Kritikerin der autokratischen Zarenregierung und des Krieges und als Anhängerin der Februarrevolution von 1917 – jedoch als hellsichtige Anklägerin der bolschewistischen Machtergreifung im Oktober 1917.

Buchgestalterin: Sabine Golde



Selma Lagerlöf:
Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden

Aus dem Schwedischen übersetzt und mit einem Nachwort von Thomas Steinfeld

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 359, 705 S.
OT: Nils Holgerssons underbara resa genom Sverige (1906 / 1907)

»Es war einmal ein Junge. Er war vielleicht vierzehn Jahre alt, lang und schlaksig und flachshaarig. Viel taugte er nicht: Am liebsten schlief oder aß er, und am zweit­liebsten trieb er Unfug.«

Die Geschichte von Nils Holgersson, wer hat sie nicht gelesen oder in den Verfilmungen gesehen? Verwandelt in einen Wichtel, wird der junge Taugenichts auf dem Rücken des weißen Gänserichs Martin zusammen mit den grauen Wildgänsen ganz Schweden erkunden – bis in den Norden Lapplands.

Nils Holgersson, ein Klassiker der Weltliteratur und bereits 1906 von der ersten weiblichen Literaturnobelpreisträgerin als Porträt ihres Landes aus der Vogelperspektive verfasst, ist oft ins Deutsche übertragen worden – in den allermeisten Fällen jedoch gekürzt und bearbeitet. Und die wenigsten der Lagerlöf-Leser wissen, dass eine ungekürzte Ausgabe nur schlecht zugänglich ist und eine gelungene Übersetzung bis heute nicht vorliegt.

Akka von Kebnekaise, der Adler Gorgo oder das Gänsemädchen Asa und der kleine Mats, – diese Figuren von Selma Lagerlöf begleiten uns auf einer Reise durch die schwedischen Provinzen in einem Entwicklungsroman voller Märchen und Legenden – und durchaus aufs Schönste belehrend.

Die neue vollständige Übersetzung von Thomas Steinfeld wird Selma Lagerlöfs Sprache mit ihren Eigentümlichkeiten, dem wunderbaren Schwedisch einer vergangenen Zeit, endlich gerecht.

Selma Lagerlöf (1858-1940), ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Schwedens, ihre Werke gehören zur Weltliteratur. Als erste Frau erhielt sie 1909 den Nobelpreis für Literatur "auf Grund des edlen Idealismus, des Phantasiereichtums und der seelenvollen Darstellung, die ihre Dichtung prägen". In vielen ihrer Werke erzählt sie von Schweden, insbesondere aber von ihrem Lebensumfeld Värmland.
Nils Holgersson, ihr bekanntestes Werk, schrieb sie 1906 und wurde in viele Spachen übersetzt. Schon 1891 erschien Die Saga von Gösta Berling, in der »Anderen Bibliothek« 2015 als Band 369 erschienen.

Buchgestalterin: Manja Hellpap



Johann Wolfgang von Goethe: Lotte meine Lotte

Die Briefe von Goethe an Charlotte von Stein 1776-1786

Mit einer Kommentierung und einem Nachwort von Jan Volker Röhnert

AB – Die Andere Bibliothek 2014, AB 360/361, 731 S. (2 Bd.)

Ein literarisches Hohelied der Liebe und doch kaum gelesen: Goethes Briefe an Charlotte von Stein zwischen 1776 und 1786.

Am Anfang steht eine Silhouette, ein Schattenriss, den Goethe von der Baronesse, Hofdame und Freundin der Herzogin Anna Amalia sah. Am 11. November 1775, soeben am Weimarer Musenhof eingetroffen, trifft der 26-jährige berühmte Autor des Werther auf die sieben Jahre ältere Charlotte von Stein – verheiratet mit dem herzoglichen Stallmeister.

Die Sprache der Liebe in unendlichen Variationen wird neu erfunden, auf über 1700 »Zettelgen«. Billette, Botschaften, Beteuerungen lesen wir, die von einer für Goethe wohl unvergleichlichen Liebe erzählen, die zugleich doch nichts ist ohne Sprache, seine Sprache – »immer frisch auf Traumglück auszugehen«.

Charlotte von Stein forderte alle ihre Briefe später zurück und verbrannte sie - zum ewigen Leid aller Biografen. Nur Goethes Korrespondenz ist überliefert. Aus ihr entwickelt sich, immer auch als Gesprächsfortsetzung gegenüber einer eher zurückhaltenden Charlotte von Stein und bei allen spannungsvollen Verstimmungen und Enttäuschungen, ein ganz eigener leidenschaftlicher Liebesroman; er begleitet Goethes Arbeit an Egmont, an Iphigenie und an Tasso.

Goethes zärtlich verliebte Mitteilungen, unmittel­barste Spiegelungen seiner Weimarer Dekade zwischen Literatur, Diplomatie und den naturwissenschaftlichen Interessen, erleichtern ihm ein Weiterleben jenseits des höfischen Pflichtprogramms in der immer enger werdenden thüringischen Provinz. Charlotte ermöglicht ihm die Literatur.

Mit Goethes Liebesverrat, seinem geheimen Aufbruch zunächst nach Karlsbad, dann nach Rom, seiner für Charlotte katastrophalen Flucht vor den Weimarer Amtspflichten, wird der Briefwechsel endgültig zum Tagebuch-Monolog der Italienreise, auf der Goethe seine ideale Geliebte, seine Liebesprojektion, seine liebe Lotte, seine Charlotte, seinen Werther in Weimar beendet.

»Wer lernt aus in der Liebe. Adieu ...«

Buchgestalter: Jonas Vogler


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