Milena Agus: Die Frau im Mond

Hoffmann und Campe, 2007, 136 S.
(OT Mal di Pietre, 2006)
Aus dem Italienischen von Monika Köpfer

Erzählt wird die Lebens-, Liebes- und Leidensgeschichte einer Frau auf Sardinien von ihrer Enkelin, die zu einer der wenigen Vertrauten der Großmutter geworden ist.

Sie, die Großmutter, stammt aus einer bäuerlichen Familie im Inland Sardiniens, ist nicht ein durchschnittliches Bauernmädchen, das die Eltern jung verheiraten können, sondern sie ist sehr begabt und fantasievoll. Vielleicht ist das eine Erklärung für die Tatsache, daß sie selbst mit knapp dreißig Jahren noch nicht verheiratet ist. Im ländlichen Sardinien der Enddreißiger oder frühen 40er Jahre ist das für sie und ihre Familie eine Katastrophe. An ihrem Aussehen kann es nicht liegen, denn sie scheint eine Schönheit zu sein. Anfangs interessieren sich durchaus junge Männer für das Mädchen, aber stets sind sie eines Tages plötzlich verschwunden. Die berichtende Enkelin vermutet wohl zu Recht, daß die junge Frau die Männer immer wieder verschreckt, indem sie ihnen unzüchtige Liebesbriefe, Gedichte oder leidenschaftliche Geschichten schreibt. Zu jener Zeit wirkt das für den Ruf zerstörerisch. Dabei zeigt es doch nur die Kreativität, Fantasie und Lebenslust der jungen Frau, doch damit will niemand zu tun haben. Ihre Mutter versteht dies natürlich nicht, und als ihr Gerüchte darüber zu Ohren kommen, ist sie alarmiert und sie schlägt sie fast tot, die Tochter wird eingesperrt und einfach für verrückt erklärt.

Im Jahr 1943 kommt ein Kriegsflüchtling auf die Insel in das Dorf und es geht sehr schnell, daß die Großmutter also mit diesem Mann verheiratet wird. Eine Vernunftehe, für die Eltern die Rettung, den Ruf der unverheirateten Tochter zu retten. Beiden ist klar, daß es nicht um Liebe geht und der Mann verspricht der jungen Frau, sie nicht anzurühren, sie zu achten - er wird seine Bedürfnisse weiterhin im Bordell befriedigen. So schlafen sie lange Zeit zwar in einem Bett, aber jeder weit vom anderen entfernt an der jeweiligen Bettkante, sie bleiben sich fremd.

Doch dabei soll es nicht bleiben: irgendwann schlägt sie ihm vor, ihm zuhause all die sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, für die er im Bordell bezahlen müßte, um Geld zu sparen und irgendwann ein Haus kaufen zu können. Es kommt durchaus zu vielen ungewöhnlichen sexuellen Handlungen, trotzdem wünschen sie sich hinterher höflich eine gute Nacht und jeder rutscht wieder an seinen Rand der Matraze. Die Liebe hat die Frau bisher in ihrem Leben nicht gefunden.

Da die Frau an Nierensteinen leidet und deshalb kinderlos geblieben ist, fährt sie 1950 auf das italienische Festland zu Kur. Dort lernt sie einen kriegsversehrten Soldaten kennen, den "Reduce", einen Heimkehrer. Sie erlebt eine wunderbare Zeit mit ihm, er ist empfindsam, musikalisch und sie kann mit ihm über ihre bisher geheimen Gedichte sprechen, lange Gespräche über Kunst und die Welt - sie hat einen Seelenverwandten gefunden und ist für ihn entflammt. Als Vierzigjährige kann sie endlich die Liebe kennenlernen, davon wird sie den Rest ihres Lebens zehren.
Neun Monate später bringt sie dann den Vater der Ich-Erzählerin zu Welt, fördert diesen Jungen, der ein großer Musiker werden wird.

Das ganze Leben dieser Frau wird geschildert, ebenso werden die anderen Verwandten in kurzen Zügen von der Enkelin beschrieben. Es ist eine Geschichte der Selbstwerdung, der Entdeckung und des Wachstums der eigenen Person durch die Liebe, und sei sie nur kurz, zu einem anderen Menschen. Sie wurde geliebt, trotz ihrer Marotten und Verrücktheiten, genauso wie der Geliebte ihren Körper verehrte. Dies gab ihr Kraft für den Rest ihres Lebens.

Gerade durch seine schlichte Sprache und die manchmal nüchternen Schilderungen der Ereignisse nimmt man an der Erzählung teil. Das dünne Bändchen läßt sich in einem Rutsch durchlesen, es ist einfach schön, für kurze Zeit alles zu vergessen und unangestrengt die leichte Literatur zu genießen.

© Ralf 2007