Roberto Alajmo: Es war der Sohn

Hanser 2011, 252 S.
(OT È stato il figlio, 2005)
Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki

Der neue Roman von Roberto Alajmo spielt in Sizilien, genauer in der Kalsa in Palermo. Beim Blick auf die Karte war meine spontane Reaktion zunächst ein sehr romantisierender, eher touristischer Eindruck »Wie schön, direkt am Hafen...«, tatsächlich jedoch ist es ein sehr altes Viertel Palermos, das eher von Armut geprägt ist, auch wenn sich das wandelt.

Dort wohnt auch die Familie Ciraulo, Großeltern, Eltern, der Sohn Tancredi und noch andere Verwandte. Alajmos Roman beginnt damit, daß der Vater, Nicola Ciraulo, tot im Wohnzimmer liegt, gerade eben erst erschossen, sein 20-jähriger Sohn Tancredi, von dem er nie viel hielt und der eher auf der Verliererseite steht, keine Eigeninitiative oder Durchsetzungsvermögen, eher ein Muttersöhnchen, keine Arbeit und ganz von der Familie abhängnig, hat sich im Bad eingeschlossen und sitzt auf dem Klo, durch die Tür lauschend, was in der Wohnung gesprochen wird und vor sich geht. Er hört, wie seine Großmutter Anweisungen gibt und schon bald ist auch die Polizei im Haus. Doch er kommt nicht heraus, antwortet nicht, wartet ab, bis die Polizei mit Gewalt herein kommt und ihn abführt. All dies auf den ersten Seiten, die Fragen der Polizei zum Tathergang, das Gejammere der Mutter, und irgendwann auch der Hinweis der Großmutter, daß der Sohn den Vater erschossen habe - daher auch der Titel des Buches.

Tancredi schweigt auch in Haft beharrlich, er macht keine Anstalten, sich zu verteidigen. Bis zum Ende des Buches rollt Alajmo den eigentlichen Tathergang auf, wie es dazu kam, was die Hintergründe waren. Das Buch ist im Grunde eine Studie über das Funktionieren der »italienischen Familie«, ihrer Lebensverhältnisse in Palermo, wie sie sich durchzuschlagen versuchen. Die ständige Geldnot, hochfliegende Träume, Illusionen, daneben aber völlige Unfähigkeit, sinnvoll oder verantwortungsbewußt in die Zukunft zu planen.

Die Familie hat durch unglückliche Umstände die jüngste Tochter bei einem Schußwechsel der Mafia verloren. Dies wurde ausgenutzt, um für die Familie nach langem Ringen zu einem nicht unbedeutendem Geldvermögen zu gelangen, mit dem die Familie jedoch nicht wirklich gut umgehen konnten. Zunächst mußten die vielen Schulden und eine Unmenge Zinsen zurückbezahlt werden, die während des Wartens auf das Geld im Größenwahn angehäuft wurden, am Ende reicht es gerade mal für ein überdimensioniertes Auto. In den letzten Kapiteln wird schließlich der Zusammenhang zwischen dem Tod der Tochter und dem Tod des Vaters aufgedeckt.

Was »Familie« in Italien bedeuten kann, wie sie funktioniert, war mir bisher nicht wirklich klar, aber in dem Buch erfährt man das sehr gut. Es ist ein Zusammenhalten der Mitglieder, das jedes Opfer auf sich nimmt, im Zentrum steht nicht das Glück (oder Unglück) des Einzelnen, sondern die Familie hat Priorität. Für sie opfert man sich auf, gibt im Notfall auch das Leben. Das Buch zeigt all dies zwar möglicherweise etwas überzeichnet, aber deshalb hat es auch einen skurilen Humor, man schüttelt manchmal nur verwundert den Kopf, wie Menschen miteinander, mit dem Leben, mit ihren Lebensverhältnissen umgehen, wie sie dies zu lösen gedenken.

Roberto Alajmo lebt und arbeitet in Palermo. Ich bin sicher, auch in seinen anderen Büchern erfährt man viel über das Mezzogiorno...

© Ralf 2011