Katja Lange-Müller: Böse Schafe

Kiepenheuer & Witsch, 2007, 205 S.

 

Westberlin im Jahr 1987: Soja, gelernte Setzerin, Republikflüchtling, Aushilfsblumenhändlerin mit weitem Herzen, trifft Harry, groß, frei, still-entschlossen, abgründige Vergangenheit, düstere Zukunft. Und fortan bestimmt sein Schicksal ihr Leben.

Geblieben ist ein Schulheft mit undatierten Einträgen, genau neunundachtzig Sätze, in denen Harry festhielt, was ihn beschäftigte, während er mit Soja zusammen war. Vieles kommt vor, eine fehlt: Soja. Jahre später macht sie sich daran, die gemeinsame Geschichte zu erzählen und die Leerstelle zu füllen, die Harry hinterließ. Soja erinnert sich an den Mann, der sie durch seine Entschiedenheit beeindruckt, gleich anfangs mit einem Geschenk verstört und ihr Herz mit einem Kinderkuss erobert hat – und um den sie sich leidenschaftlich und wider alle Vernunft bemüht.

Obwohl er sich in jeder Hinsicht bedeckt hält, gibt Harry einiges preis: nach einem Raubüberfall zehn Jahre im Knast, auf Bewährung draußen, Bewährungsauflagen verletzt, weil Drogentherapie abgebrochen, angewiesen auf neue Maßnahme, sonst umgehende Inhaftierung. Und das bringt Soja nicht gegen ihn auf, sondern in Bewegung. Sie organisiert die nächste Therapie, verpflichtet ihre wenigen Bekannten zu einer lückenlosen Begleitung und ignoriert doch alle Indizien dafür, daß Harry ihr manches verschwiegen hat. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis die nächste Bombe platzt.

Katja Lange-Müller, vielfach ausgezeichnete Meisterin der Erzählung, greift dem Leser mit diesem lange erwarteten Roman ans Herz: Einfühlsam, komisch und in einer melancholischen Tonlage erzählt sie davon, wie eine unglückliche Liebesgeschichte das größte Glück im Leben sein kann und liefert fast nebenbei ein atmosphärisch dichtes Porträt des geteilten, stillstehenden Berlins der 80er-Jahre.

Wenn ich so Rezensionen lese, dann höre ich immer, es handle sich um einen Liebesroman, einen Berlinroman. Natürlich, das trifft es, aber man muß auch erwähnen, daß es sich um einen Drogenroman handelt. Mittlerweile ist es bei mir leider so, daß ich darauf keine große Lust mehr habe und etwas satt davon bin. Berlin von unten, die zugehörige Sprache, der Suff (wobei hier nicht der Alkohol eine Rolle spielt) und dann Berlin in den 80er Jahren. Ganz nebenbei: Paradies von A L Kennedy fand ich phantastisch, zeigt aber ein Trinkerleben in einer ganz anderen Art, wirklich zu empfehlen.

Jetzt müßte ich noch ein wenig über die Liebe sprechen, darum geht es in diesem Buch ja. Soja trifft Harry und schon ist sie wie blind, es öffnet sich ihr übergroßes Herz und hinein schleicht sich Harry, oder nein, Harry ist gar nicht so aktiv, sie bereitet ihm ein wunderbares Nest, macht alles für ihn. Das kommt alles glaubhaft rüber, wie sie sich immer wieder für ihn aufopfert ohne zu hinterfragen. Soja ist zu dem Zeitpunkt etwa 40, geschrieben ist der Roman aber viele Jahre später als "Brief" an Harry. Obwohl so viel Zeit seit dem Ende vergangen ist, bleibt ihre Liebe trotzdem noch spürbar. Ich hab das Buch ganz gerne gelesen...

Oktober 2007

© Ralf 2007