Jacques Lederer: Gross und Klein

Rowohlt 2003, 111 S.
OT: Sigrand et Sip'tit (2002)
Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller

"Sigrand machte mir eindeutig mehr Angst als Gestapo, SS und Wehrmacht zusammen. Nicht einmal entfernt reichten sie an ihn heran." So beginnt der kleine Roman von Jacques Lederer, der zunächst von den Erinnerungen eines siebenjährigen Schuljungen Sip'tit in Paris 1942 erzählt. Sigrand, sein Klassenkamerad, wurde zu seinem großen Peiniger - er quält ihn, durchbohrt seine Hand mit einem Messer, bestraft ihn und läßt seine verrückten Phantasien an ihm aus. Es bildet sich ein Abhängigkeits­verhältnis, das für Sip'tit pendelt zwischen Angst und Faszination, aber auch mit Schuldgefühlen begleitet wird, da Sigrand sein Geheimnis kennt, Jude zu sein und ihm damit Verrat droht. Das Leben in Paris jener Zeit wird immer schwieriger, so daß er schließlich mit seiner Mutter untertaucht und sich versteckt.

Der erste Teil des Buches endet mit einer erneuten kurzen Begegnung der beiden Kinder im Gare d'Austerlitz, die für mich so überraschend war, daß man sie besser nicht einem zukünftigen Leser beschreiben sollte. Trotz des schrecklichen Hintergrundes ist dieser Teil mit viel Humor durchsetzt, da die Sicht des Siebenjährigen ganz andere Wertungen und eine gewisse Arglosigkeit in einer eigentlich schlimmen Zeit hervorbringt. Beim Lesen stellte sich die Erinnerung an Benignis Film "Das Leben ist schön" ein, dazu die leichte Atmosphäre französicher Filme, was mir ganz gut gefallen hat.

Im zweiten Teil kommt es Jahre später in der Nachkriegszeit zu einer weiteren, sehr unwahrscheinlichen Begegnung in einem Sanatorium. Die Konzentrationslager und Morde des Nationalsozialismus werden indirekt sichtbar am durchlittenen Leid weniger Überlebender. Dies gipfelt dann in einer Szene am Ende des Buches, die mir allerdings etwas zu laut und verrückt war, aber vielleicht paßt ja zur Scheinheiligkeit der Nachkriegszeit auch ein gehöriges Durchschütteln, vielleicht braucht es laute Worte, um ein Schweigen zu brechen, damit hingesehen wird.

28.05.2006

© Ralf 2006