Cormac McCarthy: Die Straße

Rowohlt 2007, 253 S.
(OT The Road, 2006)
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl

Ein starker Roman, ungewöhnlich, ein tolles Buch, man wird es nicht wieder vergessen. 2007 wurde dafür der Pulitzer-Preis verliehen.

Zwei Menschen, ein Vater mit seinem Sohn, in einer untergegangenen Welt. Ein Endzeit­roman, alles ist zerstört, es gibt kaum noch Menschen auf der Welt und die wenigen kämpfen ums Überleben, doch auch das scheint, ist aussichtslos. Alles ist trostlos, ohne Hoffnung. Nicht nur die Menschen sind tot, Leichen liegen immer mal wieder am Straßenrand, nicht nur alle Tiere sind tot, nicht mal eine Ratte wird sichtbar, auch die Pflanzen - Bäume, Gräser, alles verdorrt. Über allem liegt eine dünne Schicht von Asche bzw. sie zieht sich durch die Luft. Und so ziehen Vater und Sohn als letzte Menschen mit ihren wenigen Habseligkeiten über die Straße nach Süden, in der Hoffnung auf eine wärmere Umgebung, eine heilere Welt, doch ist es keine wirkliche Hoffnung, eher ein letzter Funke, der treibt und am Leben hält.

Ich denke dabei auch an die Bibel, man könnte sagen, die Welt ist wüst und leer, und einer trägt die Hoffnung, den letzten Rest des Guten verkörpert der kleine Junge. Warum weiterleben, wofür? Für den Vater ist es sein Junge, auch wenn er ihm in Situationen, in denen er ihn allein lassen muß, eine Waffe in die Hände drückt. Nicht nur, um sich bei Gefahr zu verteidigen, vielmehr auch, um sich selbst erschießen zu können, so lange er noch kann.

Wie ernährt man sich in einer toten Welt? Man sucht nach verlassenen Häusern, in der Hoffnung noch irgendwo eine vergessene Dose mit Essen zu finden usw, doch das wird immer schwieriger, alles ist schon vielfach geplündert und durchsucht. Der Hungertod ist nah. Und eine riesige Gefahr sind andere marodierende Menschen. Niemandem ist zu trauen. Irgendwann finden sie ein scheinbar leeres Haus, durchsuchen es und entdecken eingesperrt einige schmutzige verwahrloste Menschen, die sich die "Bösen" als Lebensmittelvorrat, Frischfleisch halten. Das ist die Welt. Dabei ist der Schrecken für die beiden begrenzt, sie haben schon so viel Schlimmes erlebt, die Resignation geht schon zu weit, als daß das Grauen überraschen könnte, darüber sind sie hinweg. Kann man in so einer Welt noch Mensch sein? Daß es auch "Gute" gibt, das ist Teil der Hoffnung, mehr nicht.

Diese ungeheure Düsternis wird mit nur wenigen Worten beschrieben, es braucht keine blumige Sprache, im Gegenteil, passend dazu ist sie schlicht und kahl. Und das ist für mich die eigentliche Stärke des Buches. In den kargen Worten, dem Minimalismus der Sprache spiegelt sich die Welt. Jeder Absatz läßt das Ende deutlich spüren, mit dem Ton kommt das besser an als mit allen Worten, das hat mich sehr beeindruckt. Im Gegensatz dazu dann die kurzen Dialoge zwischen Vater und Sohn, auf die man sich jedesmal freut, wenn sie geführt werden. Sie strahlen keine Freude aus, sind aber das Licht und einer dunklen Welt. Man spürt die Verbundenheit zwischen den beiden, die Zärtlichkeit im Umgang, jeder ist Stütze des anderen, das wird phantasisch vermittelt.

Es sind ganz einfach Wortwechsel, der Vater hat noch einen letzten Rest Trost übrig, der Junge glaubt als Kind noch an das Gute, mahnt das auch beim Vater an.

Müssen wir jetzt sterben?
Nein.
Was machen wir jetzt?
Wir trinken ein bisschen Wasser. Dann gehen wir weiter die Straße entlang.
Okay.

Du mußt mit mir reden, sagte er.
Ich rede doch.
Bist du sicher?
Ich rede doch gerade.
Soll ich dir eine Geschichte erzählen?
Nein.
Warum nicht?
Der Junge sah ihn an und wandte den Blick ab.
Warum nicht?
Diese Geschichten sind nicht wahr.
Das müssen sie auch nicht sein. Es sind Geschichten.
Ja. Aber in den Geschichten helfen wir andauernd jemandem, dabei tun wir das in Wirklichkeit gar nicht.
Warum erzählst du mir nicht eine Geschichte?
Ich will nicht.
Okay.
Ich habe keine Geschichten zu erzählen.
Du könntest mir eine Geschichte über dich selbst erzählen. ...oder einfach Sachen, über die du nachdenkst.
Ja, aber Geschichten sollen doch schön sein.
Nicht unbedingt.
Du erzählst immer schöne Geschichten.
Kennst du denn keine schönen?
Meine haben mehr mit dem wirklichen Leben zu tun.
Und meine nicht?
Deine nicht. Nein.
Der Mann betrachtete ihn. Und das wirkliche Leben ist ziemlich übel?
Was denkst du denn?
Tja, ich denke, es gibt uns noch. Es sind viele schlimme Sachen passiert, aber es gibt uns immer noch.
Ja.
Du findest das nicht so toll.
Es ist okay.

Die Finsternis ist kompromisslos, warum die Welt zu dem geworden ist, was sie nun ist, spielt keine Rolle, auch nicht für den Leser. Es gibt keine Zukunft, die Vergangenheit ist ebenso unbedeutend geworden. Alles ist nur noch auf das Wesentliche reduziert, es zählt nur, den Moment zu überleben und selbst dazu muß man sich manchmal zwingen, denn wozu? Was kann man sich überhaupt noch in senem Handeln erlauben, um "Mensch" zu bleiben, zu den "Guten" zu gehören?

Für den Vater ist es der Junge, der mahnt, der noch einen letzten Funken Hoffnung hat, daß es auf der Welt doch noch irgendwo andere gute Menschen geben könnte, auch wenn sie noch keinen begegnet sind. Nur er verkörpert vage eine Zukunft, es könnte doch noch ein Leben, ein Überleben für die Menschheit geben, vielleicht, dem Leser bleibt ein letzter Funke...

Es hat mich fasziniert, mit wie wenig Farbe und wenigen Worten man so viel vermitteln kann. Übrigens ist das Buch trotz der Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit nicht deprimierend, falls jemand Angst davor hat. Ein gutes Buch!

© Ralf 2008