Stewart O'Nan: Letzte Nacht

Marebuchverlag 2007, 159 S.
(OT Last Night at the Lobster, 2007)
Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel

Ein feines kleines Bändchen über ein Restaurant kurz vor der Schließung:
der letzte Arbeitstag.

Am frühen Morgen fährt Manny langsam mit seinem Auto über den Parkplatz vor der Red-Lobster-Filiale, deren Geschäftsführer er ist. Es wird heute sein letzter Arbeitstag sein, da der Eigentümer, eine große Restaurantkette, die nicht allzu gut gehende Filiale schließen wird. Von den ursprünglich 40 Angestellten wird er nur eine Handvoll mitnehmen können in eine andere Filiale, in der immerhin weiterarbeiten kann, wenn auch degradiert. Nicht alle treten heute ihre Arbeit an, wozu auch, sie sind gekündigt. Und so wird an diesem letzten Arbeitstag auch nur eine Notbesetzung die anfallende Arbeit erfüllen, Manny ist dankbar, daß überhaupt jemand kommt. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, nicht das Handtuch zu werfen, nicht nachlässig zu sein, sondern pflichtbewußt selbst jede anfallende Kleinigkeit auch an diesem Tag akurat zu erledigen.

Stewart O’Nan beschreibt detailliert die Arbeitsabläufe, die im Restaurant anfallen. Aus der Sicht des Filialleiters Manny lernt man die Angestellten kennen, seien es die Serviererinnen, der Koch, Spüler oder der Barkeeper, alle werden in ihrer Interaktion beschrieben, ihre Beziehungen untereinander, ihre Ängste und Hoffnungen. So entsteht ein unspektakuläres Porträt auch der kleinen Angestellten, die einfach ihren Job machen, von ihren Eigenheiten, ihrem Verhalten und des alltäglichen Restaurantbetriebs, der Routinen und kleinen Problemchen vor und hinter dem Tresen.
"In der Küche stellt Roz Kerzen auf, während Ty den Tilapia auf der Platte anrichtet. Er scheucht Leron und Rich weg; es ist einfacher, alles selbst zu garnieren. Manny sieht freudig, dass er seine Aufgabe ernst nimmt, dass er seine besten Zitronenscheiben wie eine Ampel in der Mitte des Filets aufreiht und ein vereinzeltes Reiskorn vom Tellerrand pflückt. Das könnte die letzte Mahlzeit sein, die sie servieren, und wie alles andere heute soll sie perfekt sein."

Manny läßt uns an seinen Gedanken über seine Mitarbeiter teilhaben, er kommentiert ihr Verhalten, ihre Beziehungen, ihre Tätigkeiten, während seinem Auge nichts entgeht, aufmerksam leitet er den Betrieb. Wie selbstverständlich nehmen die meisten die Kündigung hin ohne zu murren, zumindest ist davon nicht viel zu hören. Geduldig bringt Manny immer wieder Verständnis für alle Probleme seiner Angestellten auf, ebenso ergeben zeigt er sich seinem Arbeitgeber gegenüber, selbst an diesem letzten Tag muß alles perfekt sein, geduldig arbeitet er und auf alles im Restaurant wird geachtet, als ob es sein eigener Laden wäre. Auch die wenigen letzten Gäste werden in jeder Situation zuvorkommend behandelt, selbst wenn sie fürchterlich nerven bleibt er immer hilfsbereit, freundlich - die amerikanische Servicementalität behält bei ihm immer die Oberhand.
"Manny spürt die Versuchung - und so etwas ist ihm noch nie passiert -, der Frau zu sagen, dass ihr Sohn ein verzogener Balg und sie eine schreckliche Mutter und ein schrecklicher Mensch ist... Lächelnd lässt er sich vor aller Augen runterputzen, und auch wenn das sonst niemand versteht, Manny versteht es: Wie bei seiner Auseinandersetzung mit Ty ist das eben der Preis, den er als Chef zahlen muss."
Allerdings komme ich nicht wirklich mit Mannys Fürsorglichkeit, seinem Verständnis allem und jedem gegenüber zurecht, das ist mir etwas zuviel, aber es scheint solche Menschen zugeben...

Mit zu den schönsten Szenen gehören die Gelegenheiten, wo er den Schnee wegräumt. Ob er nun Salz streut oder mit der Schneefräse über den Platz zieht, seine Gedanken und Gefühle dabei sind wunderbar beschrieben. Die ganze Zeit über ist nicht nur im Restaurant, sondern auch bei mir als Leser die permanente stille Melancholie spürbar, die über allem liegt. Dazu paßt wunderbar das miserable Wetter, daß es draußen zunehmend schneit und stürmt.

Ich hab das Buch in zwei Etappen gelesen, dabei hat mich die erste Hälfte des Buches zunächst nicht so sehr interessiert. Dann hab ich einfach meine Einstellung geändert: am besten ist es sich still als Beobachter in eine Ecke des Restaurants zu setzen und den schlichten, präzise geschilderten Arbeitsalltag zu beobachten. Es ist, als ob Manny daneben steht, mit dem Finger auf die Menschen zeigt und ausführlich erklärt, was mit, um und in ihnen geschieht. Daneben erfährt man natürlich auch eine Menge von Manny selbst, seiner Unschlüssigkeit in seinen Liebesangelegenheiten – einerseits hat er eine schwangere Freundin, andererseits weiß er nicht wirklich, wie er mit einer seiner Serviererinnen umgehen soll, mit der ihn eine Affäre verbindet.
"So will er sich nicht verabschieden. Jacquie schüttelt nur den Kopf, und die Hoffnung, dass sie mit ihm zusammensein will, kommt ihm dumm vor - als hätte er die ganze Zeit nicht kapiert, was allen anderen von Anfang an klar war."

Am Ende dieser letzten Nacht verfolgen alle gemeinsam noch die Ziehung der Lottozahlen, da Manny Lose besorgt hatte. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es für niemanden einen Gewinn - auch wenn da ein Funken Hoffnung auf das große Los ist, erfüllt wird das in der Realität nie. So verläuft auch das Leben Mannys, einzig Jacqie hat und sucht noch Träume, aber deshalb kann sie auch nicht mit ihm zusammen sein.

Rund wird es schließlich dadurch, daß das Buch endet (Manny fährt langsam vom Parkplatz) wie es begann (Manny fährt langsam auf den Parkplatz)...
So ruhig und nüchtern wie er seinen Job macht, so fühlte ich mich am Ende auch, als ich das Buch, durchaus zufrieden, zugeklappt habe,. Und das ist doch wunderbar, wenn ein Buch seine Stimmung auf den Leser überträgt...

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© Ralf 2008