Inka Parei: Die Kältezentrale

Schöffling & Co 2011, 216 S.

»Wir nannten den Raum die Kältezentrale. Er war groß, sechs mal vier Meter. Fenster gab es nur draußen im Korridor, unzählige kleine Vierecke, die sich über alle Stockwerke zogen. In meiner Erinnerung waren sie immer schmutzig. An zwei von drei Tagen stand der Dunst vom angrenzenden Heizkraftwerk über uns am Himmel. Niemandem wäre es gelungen, sie sauber zu halten.«

Dies ist der erste Absatz, mit dem das Buch von Inka Parei mit dem Titel »Die Kältezentrale« beginnt, und damit ist auch gleich der wesentliche Ort des Romans genannt. Das Cover zeigt die technische Zeichnung einer Maschine - Technik, Maschinen, Rohre, Gänge, kalte Betonräume oder Chemikalien, all das erinnert an eine Fabrik, an Arbeitsleben. Und das ist für mich ein dominierender Eindruck dieses Romans, ich möchte fast sagen, es ist ein Roman über Arbeit, unter anderem. Der Ich-Erzähler arbeitete als Kältetechniker in der Kältezentrale, die mitverantwortlich war für die Klimatisierung der Gebäude des »Neuen Deutschland«, nicht unbedingt so wichtig für die Redaktion, aber umso mehr für Druckerei und Papierlager, denn ohne das richtige Raumklima konnte auch die Produktion nicht funktionieren, der Druck wäre mißlungen. Ich habe den Text oben zitiert, weil dieses Gebäude, dieser Produktionsort einen so großen Raum einnimmt. Es herrscht durchgehend eine graue Stimmung, passend zu grauen, schmutzigen Industriegebäuden. Ein rauhes Klima, unter Arbeitern, definierte Rangordnung, Neue werden »gemobbt«, Rohre, enge Gänge, Dunkelheit, all das hat etwas Unheimliches, solche Stimmungen kann Inka Parei gut vermitteln. Angst und Beklemmung begleitet das Lesen. Und weil diese Arbeitswelt so viel Raum einnimmt, möchte ich eben fast von einem Arbeiterroman sprechen oder gar von einem Produktionsroman, im Hintergrund der Sozialismus, die DDR.

Immer wieder schweift der Roman in jene Zeit der Arbeit in der DDR, in der Kältezentrale zurück und wird doch verknüpft mit heute: »Stück für Stück kam der Kältetrakt in mein Blickfeld. Der zementgraue Gebäudeblock. Die Rampe. Das dreigliedrige Tor zur Maschinenhalle und daneben die schmale Eingangstür ins Treppenhaus, die quadratischen, winzigen Fenster. Sie waren alle staubversehrt, aber staubblind. An den Rahmen war die Farbe abgeblättert, kleine Stücke des Lacks hingen, von Schmutzfäden lose gehalten, in der Luft.«

Die zweite Zeitebene spielt gut zwanzig Jahre später. Der Ich-Erzähler hat die DDR verlassen, noch lange vor der Wende und ist nach Süddeutschland gegangen, hat Abitur nachgeholt, studiert, eine Familie gegründet. Die Krebserkrankung seiner damaligen Frau zwingt den Erzähler geradezu zurück in die Vergangenheit. Sie ist nicht vergessen, sie kommt mit aller Macht zurück, schließlich hat sie uns zu dem gemacht, der wir heute sind. Sie läßt sich nicht leugnen, verdrängen schon gar nicht. Und so »kehrt er zu ihr zurück«. Wie stabil ist die Gegenwart, die DDR verlassen, ein neues Leben, hat er darin Fuß gefaßt, Vergangenheit verarbeitet, integriert oder nur verdrängt. Es geht um Existentielles, um Identität, der Ich-Erzälhler berichtet auch vom Ankommen in der BRD, anderen Erfahrungen in der DDR, dem Unverständnis in der Kommunikation zwischen Ost und West.

Vor allem, was ist Realität, welchen Wert hat Erinnerung, welchen Wert hat die Vergangenheit, gibt es eine Wahrheit? Kann man sich auf seinen Verstand verlassen?
»Der menschliche Verstand, was war das? Und wenn er den Sinnen üerlegen war, sich von ihnen aber dennoch leicht in die Irre führen ließ, welchen Wert hatte das, was wir sahen, fühlten, erlebten? War es nur Oberflächen, Schein?«

Inka Parei schreibt über nicht nur über diese Fragen, das Buch hat auch etwas diffuses, verwirrendes. Ich war ab und an verwirrt, konnte vieles nicht wirklich einordnen, den Sinn verstehen, surreal erschien die ewige Suche nach Hansmann, gab es diese Figur wirklich? Und immer wieder bekommt man Bilder geliefert, Erinnerungsbruchstücke, als Leser fühlte ich mich nicht auf sicherem Boden, so wie die Erinnerung eben auch in die Irre führen kann - ich hatte nachzudenken.

Damit paßt das Buch auch in diesen Bücherherbst, wo gefühlt so viel über DDR, Ost-Identität usw. verhandelt wird. DDR - BRD, von Ost nach West, heilt ein Bruch in der Biographie? Vergessen, verdrängen, wie läßt sich damit leben. In der Rückschau, wo ich dies schreibe, gewinnt der Roman noch sehr, schön so, und er ist mal eine ganz andere Leseerfahrung...

© Ralf 2011