Uwe Tellkamp: Der Turm

Suhrkamp 2008, 973 S.

Gerade verkündet:
Buchpreis 2008

Die Lektüre dieses Buches hatte mich so sehr begeistert, daß ich einfach zwischendurch mal diesen Beitrag geschrieben hatte. Nun bin ich durch, möchte aber nicht noch mehr schreiben. Hier also nur ein Lese-Eindruck.
Ganz kurz jedoch, auch nachdem ich nun durch bin:

die Begeisterung bleibt, ein ganz tolles Buch, grandios, wunderbar.

Aber schon jetzt kann ich zusammenfassen: ein wunderbares Buch, es macht großen Spaß Tellkamps Buch zu lesen und den Vorbehalt den ich am Anfang hatte, es könnte zu detailverliebt sein oder anstrengend, bestätigt sich überhaupt nicht. Im Gegenteil, endlich mal ein Buch wie ich es mir schon lange wieder wünschte: man kann eintauchen, hat das Gefühl vor Ort und mit dabei zu sein - es paßt für mich der Begriff "Ein Schmöker". Bevor ich nun weiterschreibe noch kurz der Hinweis, daß Uwe Tellkamp selbst in Dresden geboren ist, das Bildungsmilieu aus seiner eigenen Kindheit kennt, auch Medizin studiert hat, in der NVA war usw. Es geht also nicht nur gut recherchiertes Wissen in den Roman ein, sondern auch viel selbst Erlebtes.

Am Anfang steht der Geburtstag von Richard, einem Chirurg. Damit spielen einige Kapitel des Buches im Ärztemilieu, was noch eine Rolle spielen wird, da auch sein Sohn Christian diesen "ehrbaren" Beruf anstrebt. Damit rückt für Christian Bildung, Wissen und damit sein späteres Medizinstudium ins Zentrum seines jungen Lebens und alles andere, gerade die Schule bzw Schulleben, wird für ihn unwichtig. Seine Mitschüler läßt er links liegen, er ist (Buch)Welten von den Interessen seiner Mitschüler, Jungen wie Mädchen, entfernt. Lesen, lesen, lesen ist für ihn alles, nicht der Lust oder des Träumens wegen, sondern es geht ihm um Wissen und Bildung. Es geht um Leistung.
Doch zurück zum Geburtstag irgendwo auf den ersten 100 Seiten: damit wird die Umgebung des Villenvietels in Dresden Loschwitz eingeführt und ebenso die Familienangehörigen und die Freunde. Man lernt sie alle kennen, da Tellkamp detailliert die Umgebung schildert, Kleinigkeiten, deshalb fällt mir jetzt gerade auch das Detail eines schmiedeeisernen Gitters auf dem Buchcover auf, das ist passend gewählt. Es ist mir aber nicht zuviel, sondern ich tauche gern in diese Welt ein, so kann man sich das vorstellen.

Nach noch nicht einmal 200 Seiten erinnere ich mich schon gerne an diverse, sehr schöne Kapitel, wohl weil öfters meine Sinne angesprochen werden, ich gut eintauchen kann. Die Schilderung eines Frühstücks im Tausendaugenhaus: man kann sich sehr gut vorstellen, wie der Körper noch am frühen Morgen fröstelt, man dann in das warme Frühstückszimmer kommt, dabei Kaffeegeruch die Nase hoch steigt, man Lust auch ein wunderbares gemeinsames Frühstück bekommt usw. Atmosphäre kann Uwe Tellkamp also gut schildern und nachfühlbar machen.

Beim Lesen war ich mit zwei unterschiedlichen Welten konfrontiert: einerseits dem Familienleben, man setzt sich füreinander ein, kümmert und liebt sich, eine Welt zum Wohlfühlen, andererseits die Welt drumherum, grau und in zunehmendem Zerfall, zwei Parallelgesellschaften also.

»Er beobachtete die Menschen. Wie sie dahintrieben in der Dämmerung, in graue oder braune Mäntel gekleidet, nur hin und wieder etwas Farbe, Blaßblau, Beige, vorsichtiges Rosa, und jeder in Gedanken und Geschäften, niemand mit erhobenem Kopf, den Blick offen einem anderen Menschen zugewandt: all das erfüllte ihn mit Traurigkeit, einem Gefühl von Unentrinnbarkeit und Hoffnungslosigkeit.«

Es gibt nicht nur interessante, sondern auch humorvolle Schilderungen, dabei denke ich an die Suche eines vernünftigen Weihnachtsbaums (offiziell sind nur Krüppel zu bekommen), auf der Tannenlichtung die Bäume mit Zetteln bestückt, Reservierungen der schönsten Bäume für hohe Parteimitglieder, bewacht von einem Förster und einem Soldaten, doch in die Quere kommt ihnen der Pfarrer, der es auf denselben Baum abgesehen hat...

© Ralf 2008