Ilija Trojanow: Der Weltensammler

Hanser Verlag 2006, 473 S.

IIlija Trojanow schreibt in seinem Roman "Der Weltensammler" über drei große Reisen, die der britische Offizier Sir Richard Francis Burton (1821-1890) neben einigen anderen unternommen hat. Damit ist der Roman auch schon in seine drei Teile geordnet, eingerahmt von seinem Lebensende 1890 in Triest, wo er die letzten 20 Jahre als Konsul lebte und dort schrieb oder aus diversen Sprachen übersetzte.

Im ersten Teil reist Richard Burton in den 1840er Jahren 21-jährig als britischer Offizier nach Indien. Er führt nicht das für die damaligen Briten typische Leben, sondern lernt die Sprache der Einheimischen, mischt sich unter das Volk, studiert mit ungeheurer Neugier deren Leben und nähert sich ihnen an. Im Laufe der Jahre könnte man meinen, er wird fast einer von ihnen: seine Unternehmungen sind nicht nur Tagesausflüge von einem behaglichen Zuhause aus, sondern manchmal ist er wochenlang unterwegs und lebt im und wie das Volk. Für Burton war der Kontakt mit Einheimischen keine Belästigung, sondern er sucht fast schon wie besessen danach, was mich beim Lesen dann öfters zum schmunzeln über diese Figur brachte. Um seinen Wissensdurst zu stillen, nimmt er sich einen Gelehrten um Hindi und die Eigentümlichkeiten des Landes zu lernen zu lernen, auch Farsi, Arabisch und andere Sprachen kommen hinzu. Seine wachsenden Kenntnisse setzt er auch ein, um nicht die üblichen Regimentspflichten erfüllen zu müssen, sondern seinem General sonst schwer zugängliche Informationen über Stimmungen im Volk oder mögliche Verschwörungen zu beschaffen. Nach und nach kommt er auch mit dem Islam in Kontakt, was ihn immer mehr fasziniert und den er genau studiert.

Damit folgt im zweiten Teil seine Fahrt nach Arabien. Verkleidet als indischer Muslim schifft er sich nach Kairo ein, um eine Pilgerfahrt nach Medina und Mekka zu unternehmen (1853/54). So, wie er in Indien fast als Einheimischer erschien, wird er auch hier als gläubiger Muslim akzeptiert. Er läßt sich zunächst als Arzt nieder. Es sind nicht nur sein schauspielerisches Talent, die Kleidung und Masken, in die er schlüpft und die er dem jeweiligen Land anpaßt oder die Sprachen, die er mit großem Eifer erlernt (es sollen insgesamt 29 Sprachen sein, die er sich angeeignet hat) oder daß er seine Haut künstlich bräunt; seine Neugier und unvoreingenommene Beobachtunggabe, das genaue Studium des religiösen und kulturellen Lebens führen dazu, daß er problemlos und unerkannt diverse Rollen einnehmen kann. Das geht soweit, daß nie genau geklärt konnte, ob er nicht vielleicht selbst Moslem geworden ist, wenn man diesen Gedanken zuläßt. Nicht gespielt, nach der Ankunft in Mekka in den Massen der Pilger, ist er selbst ganz begeistert und geht auf in der "Ekstase" am Ende der Hadsch.

Die letzte Reise des Romans schildert Burton als Entdeckungsreisenden 1856 in Ostafrika, auf der Suche nach den Quellen des Nils, die er zusammen mit John Hanning Speke unternommen hat. Hier erschien er mir, anders als in den anderen Teilen, eher als Forschungsreisender, mehr getrieben vom Wunsch zu entdecken als von der Faszination für die Religion oder Kultur des Landes.

Man könnte das Buch als Abenteuerroman lesen, aber es ist auch deutlich mehr. In vielen Bildern und Eindrücken lernt man Indien kennen, Gerüche steigen auf, Beschwernisse der Reise werden spürbar, sinnlich läßt Trojanow den Leser teilnehmen. Und man erhält einen Eindruck der verschiedenen Kulturen und Religionen, gespickt mit Kritik und Skepsis den Europäern gegenüber, die meist - anders als Burton - nicht so genau hinsehen und deshalb nicht verstehen. Erweitert wird der Roman durch die Änderung der Erzählperspektive. In jedem Teil kommen im Wechsel der Kapitel sein Diener, ein Reisebegleiter oder andere Zeugen zu Wort, die den Blickwinkel Burtons ergänzen oder völlig neue Aspekte einführen. Die ungeheure Energie und Antrieb Burtons lassen staunen, seine teilweise Exzentrik und abweichendes Verhalten beleben das Lesen. Und das macht zu einem guten Teil den Reiz des Buches aus, neben dem Eintauchen in fremde Welten und den differenzierten Ansichten sowohl der Handlung, als auch bei der Betrachtung der Kulturen.

Die letzte Reise hat mich übrigens angeregt, etwas weiter zu lesen, da Burton seine Reisen immer schriftlich festgehalten und veröffentlicht hat. Neben dem Bericht über die Pilgerfahrt nach Mekka, der ihn berühmt gemacht hat, erschien natürlich auch die Ostafrikareise. Ausschnitte daraus finden sich in dem Band aus der Anderen Bibliothek von Georg Brunold "Nilfiber" von 1993, wo man noch mehr Details finden kann über Burton und Speke. Außerdem auch einige Fakten: daß diese Expeditionen viele Menschen umfaßte, hatte ich erwartet, aber daß es durchaus bis zu 1000 Mann waren, die sich auf den Weg machten, ließ mich doch staunen - man stelle sich die zugehörige Ausrüstung vor. Interessant dabei fand ich übrigens auch, daß ich einige Szenen in Trojanows Roman hier wiederfand, ich würde sagen: fast wörtlich hat er sie eingearbeitet.


© Ralf 2006