David Foster Wallace: Unendlicher Spaß

Kiepenheuer & Witsch 2009, 1547 S.
(OT Infinite Jest, 1996)
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach

Hier einfach nur ein kleiner Eindruck meiner Gedanken, als ich das Buch gelesen habe, eine Momentaufnahme. Daran sollte sich schon deutlich erkennen lassen, wie es mir mit dem Buch erging.

Und, falls jemand antizipieren möchte: ich hab kurz den Inhalt des Buches (bis zur Hälfte) szenenweise zusammengefaßt bzw. wenige Stichworte dazu. Für mich war das hilfreich, wenn ich was wiederfinden wollte...

Einige Gedanken zum Buch:

Bin nun auf Seite 700 stehen geblieben, weil ich ein anderes Buch zwischengeschoben habe. Und gestern dann wieder wenige Seiten gelesen: ich hab es nicht über, bin gleich wieder drin. Wenn ich über die gelesene Szene nachdenke, muß ich gleich wieder grinsen, weniger über das gelesene Gespräch (Maranthe und Steeply, die uns das ganze Buch über begleiten), sondern über die Situation, die Absurdität, diese merkwürdigen Figuren und wie ich sie mir vorstelle).
Wenn es also soooo viele Seiten schaffen, mich zu fassen, dann ist das toll. Allerdings, wohl wahr: die Seiten sind klein beschrieben, bis S700 nun, gefühlt jedoch schon1200 Seiten gelesen - man braucht nen langen Atem, ein unendlicher Spaß... Und ja, richtig, der Roman wird sehr gefeiert und wenn das nicht wäre, diese ausufernde Berichterstattung, hätt ich wohl nicht begonnen. Aber für mich ist das positiv, ich häng mich eben dran, das hält mich bei der Stange und les noch immer wieder im täglichen Blog mit, alles zusammen läßt mich nicht abdriften, sondern dabeibleiben...

Es fließt auch sehr viel Wissen in das Buch ein, für mich ist das phantastisch, ich finde es toll und würde mir wünschen, daß andere Autoren auch so schrieben. Er benutzt manchmal Worte, die sehr präzise beschreiben, worum es geht und das begeistert mich, weil ich auf den Punkt weiß, was er sieht.
Vielleicht mal ein kleines Beispiel:
Noch recht am Anfang geht es mal übers Zähneputzen mit Zahnseide, bzw. um einen speziellen Zahn. Er spricht vom "Bikuspidaten": na ja, das kann ich zwar zunächst nicht zuordnen, hab aber nachgesehen und finde, daß er wohl die Prämolaren gemeint sind (denk ich zumindest), damit kann ich immerhin von meinen 32 Zähnen auf 8 einschränken. Beim Lesen fand ich das toll, aber wenn ich nun so drüber schreibe: das ist ja immer noch sehr unpräzise, egal, ich hab mich damals darüber gefreut (und hab nun immer ein Bild davon, nämlich daß da zwei Höcker sind, statt 3 wie ganz hinten...)
Daneben gibt es eben auch so wunderschöne Worte wie z.B. "Sirenenthrenodie", solche Beispiele könnte man endlos finden, ebenso wie Wortspielereien, Wortschöpfungen usw. Er übertreibt es aber nicht, erreicht bei mir jedoch ein Innehalten, ein Grinsen, erzeugt immer wieder ein Aufblitzen von Freude.

Was ich sagen möchte: muß man immer alles verstehen? ich muß nicht und bei Bedarf schau ich nach. Ich geh aber auch öfters drüber weg oder werde, wie heute auch schon, einfach nicht fündig. Nicht das reingepackte Wissen ist dem Leser ein Problem, sondern der ungeheure Seitenumfang... (das vielfältige Wissen, ungebräuchliche oder fremde Worte und detaillierte Beschreibungen sind mir hier ein Genuß, die Lektüre wird dadurch nicht zur Last, sondern sind mir eine Bereicherung).
Aber ich geb zu, ich geh da durchaus naiv ran und möchte das auch, ich kann über manches hinwegsehen und muß nicht alles so ernst nehmen...

Es wird immer wieder mal gesagt, daß das Buch so sehr traurig sei usw. Auch das empfind ich nicht wirklich so, nur eingeschränkt. Auch das ein eigenes Thema, ich würd eher so sagen, daß es eben oft bitter bitter böse ist, da wird kräftig ausgeteilt. Möcht mal mit den Worten spielen und sagen: es ist nicht runterziehend-depressiv sondern aufbauend-depressiv, da im Text durch gelegentliche Absurdität und Überspitzung auch viel (sakastischer) Witz durchscheint.

Und die Drogen? Ja, das ist ein wichtiges Thema im Buch, vielleicht sprech ich besser von Sucht, die das Buch thematisch durchzieht. Es lohnt sich, seit ich dieses Buch lese, hab ich schon oft teilgenommen bei Sitzungen der Anonymen Alkoholiker, war beim Entzug dabei, dem ewigen Kampf und dem Gieren nach der Droge, Räusche, und noch sehr viel mehr, ich käme nicht hinterher, die unmöglichsten Drogen aufzuzählen...

Das ist aber nur ein kleiner Aspekt, die Vielfalt bezieht sich ja nicht nur auf Worte. Es gibt auch ganz viel Situationskomik, witzige Stellen, machmal eine Wendung, mit der ich überhaupt nicht rechne, ungewöhnliche Verhaltensweisen oder Marotten --> und ich muß lachen. Ich würd ja zu gern ein Beispiel bringen, aber das ist dann doch zu viel zum beschreiben.

Er hat eben einfach so viele Einfälle und Ideen, machmal frag ich mich, warum ist da nicht schon vorher einer drauf gekommen, sowas zu schildern. Teilweise sind es auch nur Aneinanderreihungen von Worten, um eine Regung zu beschreiben, aber in einer Ausführlichkeit, die ich eben toll finde (vielleicht gibt es auch Menschen, die sowas ermüdet, mich nicht...) In Kauf nehmen muß man dann beim Lesen nicht nur die Drogen, die vielleicht nicht jedermann interessieren, sondern auch Tierfreunde könnten z.B. mit einem Kapitel Probleme haben. In aller Ausführlichkeit wird der Zwang eines Ennet-Insassen geschildert, immer wieder Tiere zu quälen und umzubringen.

Beim der Themenvielfalt läßt mich ein Eindruck auch nicht los: die Beinahe-Abwesenheit weiblicher Figuren, sie kommen wenig und meist nur am Rande vor. Sicher, es gibt Avril oder Joelle (Sch.M.A.Z., das schönste Mädchen aller Zeiten), aber da fehlt trotzdem was. Was ist mit Liebe? Daran kann ich mich nicht erinnern, nicht wirklich oder nur peripher, z.B. in der Art: "...dass sie mit über fünfzig bei Männern immer noch endokrinologische Reflexe auslöst." Damit hat sich das Thema auch schon, wirklich nur dieser eine halbe Satz - und das übrigens nur in einer winzigen Fußnote (Nr 210).
"Na immerhin" sag ich nur, aber da hätt ich mir gerne mehr zum Thema gewünscht, wozu DFW in der Lage gewesen wäre., vielleicht kommt da noch mehr in der zweiten Hälfte des Buches...

Diese vielen Ideen und Beschreibungen, die immer wieder auftauchen, die mir damit in ihrer Ausführlichkeit auch eine deutliche Erfahrung von mir fremden Situationen vermitteln, die mir sonst verschlossen bliebe, auch in anderen Büchern, lassen mich immer wieder gerne weiterlesen, es bereichert mich damit. Das Buch geht um Sucht, und ich hab heute gedacht, irgendwie bin ich als Leser auch einer Sucht verfallen in diesem Buch, irgendwie. Ich möcht immer noch mehr davon - und tatsächlich setzt er immer noch einen drauf, liefert nach: eben ein unendlicher Spaß. Ist das nicht ne große Leistung von DFW?

Es bleibt das Gefühl, ein ganz besonderes Buch gelesen zu haben, ich staune...
...und lobe

© Ralf 2009